P. Martin Leitgöb ist Priester und seit 2012 Administrator in der deutschen römisch-katholischen Pfarrei in Prag in der Kirche Sankt Johannes Nepomuk am Felsen. P. Leitgöb war von 2014 bis 2019 auch als geistlicher Beirat der Sdružení Ackermann-Gemeinde tätig. Da P. Leitgöb doch leider Ende August Prag verlassen wird, um zu einer neuen Kirche in Deutschland zu gehen, haben wir beschlossen ein Interview mit ihm zu führen, in dem er auf sein Leben und seine Erfahrung in der Tschechischen Republik zurückblickt.
Wir danken P. Leitgöb für eine sehr schöne Zusammenarbeit, insbesondere in seiner Tätigkeit als geistlicher Beirat der SAG, und wünschen ihm alles Gute für seine neue Arbeit in Deutschland.
SAG: Wie sind Sie überhaupt dazu gekommen, in Prag als in Pfarrer tätig zu werden?
Martin Leitgöb: Ich hatte vor zehn Jahren, als ich im Rahmen meiner
Ordensgemeinschaft in Wien arbeitete, das Gefühl, dass e seine Veränderung
braucht. Und dann bin ich aus verschiedenen Gründen auf Prag aufmerksam
geworden. Eigentlich wollte ich hier etwas ganzanderes machen. Ich wollte hier
an der Kirche zum hl. Kajetan ein offenes Angebot für Touristen und Passanten
machen. Dafür hatte ich auch die Ermutigung meiner österreichischen
Ordensleitung. Nach einiger Zeit wurde dann deutlich, dass die deutschsprachige
katholische Gemeinde einen neuen Seelsorger braucht - und ich wurde gefragt.
SAG: Man kann sich vorstellen, dass es eine starke Umstellung zu Wien war.
Leitgöb: Schon vor langem - so um meine Priesterweihe herum - habe ich
erkannt, dass wenn man sich als Priester bemüht, einigermaßen menschlich zu
sein, einem dann auch viel Menschlichkeit zurückgeschenkt wird. Das ist ein
Grundgesetz, das ja wahrscheinlich nicht nur in der Seelsorge, sondern in jedem
Bereich gilt. Und das gilt im Grunde genommen an jeder Stelle, ganz egal wo man
ist.
Insofern gab es nicht so
viel Umstellung zwischen den einzelnen Stellen. Aber natürlich, im konkreten
praktischen Leben waren Wien und Prag schon anders. In Wien lebte ich in der
Gemeinschaft unseres Ordens, hier in Prag hatte ich einen Einzelposten. Das
macht im alltäglichen Leben einen großen Unterschied.
Aber ich bin sehr dankbar
für diese Erfahrung, auf mich allein gestellt zu sein mit allen
Herausforderungen, zum Beispiel, dass man sich selbst versorgen muss, aber
auch, dass man sich noch viel starker um das persönliche geistliche Leben
bemühen muss. Im Kloster ist man in das Gebetsleben einer Gemeinschaft
eingebunden, auf einem Einzelposten muss man das stärker selbst im Blick
bewahren.
SAG: Wie hat sich die Arbeit als Seelsorger unterschieden von dem, was Sie
vorher gemacht haben? Gab es auch Änderungen in Ihren persönlichen Ansichten?
Leitgöb: Das Leben ist insgesamt jeden Tag ein Lernprozess. Und so habe
ich auch in Prag neue Dinge erfahren und erlebt. Neu war die Arbeit in einer
Gemeinde mit allen Dimensionen, auch mit der Verwaltungsarbeit. Tendenziell bin
ich nicht der Typ für Administration. (lacht)
Ebenfalls ziemlich neu war der Religionsunterricht an der Deutschen Schule.
Dieser Unterricht wird übrigens hier in Prag ökumenisch durchgeführt. Die
evangelische Pfarrerin und ich, wir machen das im Teamteaching.
Und damit bin ich beim
Nächsten, was ich in Prag ganz neu erfahren und gelernt habe: die Ökumene. In
Österreich hat man es ja hauptsächlich mit der katholischen Kirche zu tun. Hier
in Prag arbeitete ich gerne mit der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde
zusammen. Unsere Ökumene habe ich als sehr fruchtbar erlebt, auch für mich
persönlich.
SAG: Sie werden aus
Prag Richtung Deutschland weitergehen, wo sie für ihren Orden eine Gemeinde
übernehmen. Was erwarten Sie?
Leitgöb: Ich freue mich, auf eine
neue Herausforderung zu zugehen, von der ich nicht weiß, wie sie konkret
aussehen wird. Mit jeder neuen Herausforderung lernt man sich auch selbst ein
Stück weit besser kennen. Darauf freue ich mich vielleicht am meisten. Die neue
Gemeinde wird etwas größer sein als jene in Prag, und ich weiß, dass e seine
sehr lebendige Gemeinde ist. Außerdem freue ich mich, dass ich als Kind des
Landes, das seit dem 18. Lebensjahr in Städten lebt, jetzt wieder in einem ganz
ländlichen Gebiet sein werde. Ich mag zwar das Stadtleben und werde es auch ein
Stück weit vermissen. Aber am Land gibt e seine ganz eigene Lebensqualität.
SAG: Sie haben auch früher mal gesagt, dass Sie den Wunsch haben, mit Ihrer
Arbeit eine lebendige Kirche mitzugestalten.
Leitgöb: Lebendige Kirche heißt, dass möglichst viele Menschen den
Glauben in lebendiger Form für sich und ihr Leben entdecken. Lebendige Kirche
bedeutet eine Vielzahl von Menschen, die sich mit ganz unterschiedlichen
Begabungen in das Gemeindeleben einbringen. Alle sind von einer gemeinsamen
Verbundenheit im Glauben getragen. Das durfte ich wirklich die letzten acht
Jahre in Prag sehr schön erlebt. Ich selbst habe aus der Arbeit in der
Seelsorge viel mehr erhalten als ich geben konnte.
SAG: Tschechien ja als sehr säkularisiertes Land bekannt ist. Sehen sie
hierin einen Gegensatz zu Österreich oder Deutschland?
Leitgöb: Ich habe ehrlich gesagt Zweifel an der These von
der starken Säkularisierung Tschechiens im Unterschied zu Deutschland und
Österreich. Diese Länder sind heutzutage mindestens genauso säkularisiert.
Allerdings gibt es in Deutschland und Österreich eine stärkere kulturelle
Religiosität. Aber das ist eben eine kulturelle Religiosität. Wenn man
sich beispielsweise die Zahlen jener Menschen anschaut, die am Sonntag einen
Gottesdienst besuchen, dann sind die Zahlen in Wien nicht so verschieden von
Prag. Umgekehrt habe ich in Prag sehr viel lebendiges Christentum und sehr
viele lebendige Gemeinden erlebt. Ich habe häufiger in der Prager
Herz-Jesu-Kirche Gottesdienstvertretungen gemacht. An einem gewöhnlichen Montag
um acht Uhr in der Früh waren da an die 50 Leute. Ich wüsste im Moment keine
gewöhnliche Wiener Pfarrkirche mit einer ähnlichen Situation. Deswegen also
zweifle ich an dem grundsätzlichen Unterschied, was die Säkularisierung in den
unterschiedlichen Ländern betrifft.
SAG: Wie haben Sie sich ganz grundsätzlich als Österreicher in Tschechien
gefühlt? Gab es auch unangenehme Erfahrungen?
Leitgöb: Eigentlich habe ich fast nur positive Erfahrungen gemacht. Dazu
möchte ich von einem Symbol erzählen: Am
Eingang zum Garten unserer Kirche stehen alte Skulpturen, unter anderem ein
großer böhmischer Löwe, aus Stein gehauen. Der war früher einmal auf der
Kirchenfassade, da wurde er dann erneuert, und so findet sich der ursprüngliche
Löwe bei uns im Garten. Weil er schon ziemlich alt ist, fehlt ihm das Maul.
Erst neulich habe ich mir gedacht: Das ist ein Symbol für meine Erfahrungen
hier in Prag. Der Böhmische Löwe hat mich nie gebissen. Zwischen den Ländern
ist es das Gleiche wie in der Seelsorge: Wenn
man sich bemüht, offen zu den Menschen zu sein, dann kommt Offenheit zurück,
egal welcher Nation man angehört.
SAG: Sie waren auch
lange Geistliche Beirat des Sdružení Ackermann-Gemeinde (SAG). Wie sind Sie
dazu gekommen?
Leitgöb: Ich weiß nicht mehr, in welchem Jahr genau es war. Jan Heinzl
war damals Geschäftsführer des Sdružení Ackermann-Gemeinde, und wir hatten als
ein gemeinsames Projekt zwischen SAG und unserer Gemeinde eine Tagesfahrt nach Želiv
und Kralice. Auf der Rückfahrt nach Prag haben mich Jan Heinzl und Helena
Faberová gefragt, ob ich mir die Aufgabe des Geistlichen Beirates vorstellen
könnte. Die Anfrage kam für mich überraschend, und so erbat ich mir Bedenkzeit.
Zugesagt habe ich dann unter anderem, weil ich mir dachte: Wir sind ja ohnehin
Nachbarn. (lacht) Und es passte
auch gut zusammen. Durch diese Arbeit konnte ich viel im Bereich der
deutsch-tschechischen Begegnung lernen, was für mich sehr bereichernd ist.
SAG: Wie genau hat sich Ihre Arbeit als Geistlicher Beirat gestaltet?
Leitgöb: Die Arbeit bewegte sich auf unterschiedlichen Ebenen. Einerseits
war ich Ansprechpartner, wenn es bei den unterschiedlichen Veranstaltungen
Gottesdienste gab. So gut es ging, habe ich auch versucht, Kontakt zum Büro des
SAG zu halten und auch ein Stück weit Seelsorger für die Leute zu sein, die
hier im Büro arbeiten. Das ging ganz einfach: Ich kam immer wieder einmal auf
einen Kaffee vorbei und stellte die Frage "Wie geht es euch?" Diese Frage ist
ja absolut wichtig in unserem menschlichen Zusammenleben.
SAG: Haben Sie eine Idee, wo sich die SAG in Zukunft hin orientieren könnte?
Leitgöb: Im
Vergleich zur deutschen Ackermann-Gemeinde handelt es sich beim SAG um eine
relative kleine Gemeinschaft - das muss aber kein Nachteil sein. Auch die
geringere Organisationsstruktur kann ein Vorteil sein, weil sie vielleicht zu
direkteren Begegnungen und zu einer tieferen Lebendigkeit führt. Besonders
wichtig sind Begegnungen auf Augenhöhe. Das wünsche ich dem SAG für die
Zukunft.
SAG: Ein sehr schönes
Schlusswort. Vielen Dank für dieses Gespräch, Pater Leitgöb!